Armutszeugnis für Politik und Verwaltung

Presseinformation der BI ‚Limmer für Immer’ anlässlich der aktuellen 26.02.2009 Verwaltungsentscheidungen zum Ausbau des Stichkanal Linden [PM zum Verwaltungsentscheid]

Armutszeugnis für Politik und Verwaltung

– Zwischenzeugnis für das Wahljahr 2009 –

dieses Zeugnis fällt für viele Teilnehmer am Entscheidungsprozeß zum Kanalausbau und Schleusenneubau aus der hannoverschen Verwaltung und der Parteipolitik bisher eherschlecht aus.

Sozialverhalten

‚Mehr Demokratie wagen’ war leider nicht der Leitspruch des vergangenen Jahres. Die angekündigte Bürgerbeteiligung blieb überwiegend ein Lippenbekenntnis. Seit der Anhörung am 05.11.2008 gab es Neuigkeiten zum Kanalausbau wieder nur aus der Zeitung. Einladungen der BI zum Gespräch an Herrn Bodemann (Stadtbaurat), Frau Block (Verwaltung) und Herrn Wachholz (WSD) wurden abgelehnt. Die WSD übermittelt neue Varianten an die Presse, deren Existenz auf schriftliche Nachfrage verneint wird. Während der BI die erste öffentliche Vorstellung der Drucksachen für den 09.03.2009 angekündigt wird, erfährt sie zufällig durch Dritte von einem Pressegespräch zur Vorstellung der Verwaltungsentscheidungen schon am 27.02.2009.

Die Bürger sammeln seit dem Frühjahr 2008 ihre offenen Fragen und sachlichen Zweifel, deren Berücksichtigung in der lange angekündigten Nutzen-Kosten Analyse zugesagt wird. Falls das nicht der Fall sein sollte, wird von ‚rot’ und ‚grün’ die Beauftragung eines unabhängigen Fachgutachtens in Aussicht gestellt. Wie erwartet ist die Nutzen-Kosten Analyse nur die schlichte Beschreibung zur Ermittlung eines rein ökonomischen Nutzen- Kosten-Koeffizienten. Das auch von 1000 Bürgern per Unterschrift geforderte Fachgutachten wird trotzdem unter den Tisch gekehrt.

Erst nach anhaltender Intervention wird der Öffentlichkeit Einblick in die Nutzen-Kosten Analyse gewährt. Jetzt soll wieder durch ein, nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestelltes Gutachten von Pricewaterhouse Coopers belegt werden, dass eine zeitweise Schließung der Schleuse für einen ‚Menschen schonenden’ Neubau an alter Stelle zu teuer wäre.

Rechnen

Auch auf dem Gebiet des Rechnens und rechnerischen Denkens konnten sich die Teilnehmer dieses Jahr keine Meriten verdienen. Der ermittelte Nutzen-Kosten Effizient für den Kanalausbau von jetzt nur noch 1,07 (1,07 EUR Nutzen bei Investition von 1,0 Eur) ist blamabel niedrig und der Ausbau des Stichkanals liegt im Vergleich mit allen ‚bauwürdigen’ Wasserstraßenprojekten des Bundes weit abgeschlagen an letzter Stelle. Kein Manager würde wagen, ein Projekt mit dieser wirtschaftlichen Prognose vorzuschlagen und dabei gleichzeitig keine Baukostensteigerung zu berücksichtigen. Die Verwaltung will den Ausbau trotzdem und fordert sogar noch den erweiterten Ausbau bis Linden für das 135 m Schiff statt für das 110 m Schiff, obwohl selbst die von der Verwaltung beauftragten Gutachter Planco und LNC dafür keine Rentabilität und keinen Verwendungsbedarf ermitteln konnten.

Zur Ermittlung des Koeffizienten werden zudem Frachtmengen, die nur ganz am Anfang des Stichkanals anfallen zur Begründung des Vollausbaus bis zum Lindener Hafen herangezogen. Auf die Nachfrage zu diesem Unsinn erhält man als Antwort, dass das bisher immer so gemacht wurde.

Für Schließzeiten bei der sogenannten Nullvariante wird hier der ‚Worst-Case’ angenommen, bei den Verkehrsprognosen und den Baukosten wird jedoch jeweils die ‚Sonnenschein’-Variante gewählt.

Sprache

Fälschlicherweise wird der Begriff ‚Nullvariante’ hier von Politikern und Verwaltungskräften für den Vollausbau des Kanals und der Schleuse für das 135 m Schiff (ÜGMS) unter Abriss nahezu aller Brücken und Verlegung von verschiedenen Verkehrswegen benutzt. Eine Nullvariante wäre höchstens der Erhalt des bisherigen Ausbauzustands durch Sanierung. Von einer Prüfung der ‚Nullvariante’ kann hier also gar keine Rede sein.

Wahrnehmungsfähigkeiten

Auch im Bereich der Wahrnehmungsfähigkeiten gab es im vergangenen Jahr erhebliche Defizite. Trotz vielfältiger Wiederholungen der vom Kanalausbau ausgehenden Gefährdungspotentiale blieben diese Sachverhalte nicht nachhaltig präsent. Hier noch mal in kurzer Zusammenfassung die zu erwartenden Folgen des Kanalausbaus und Schleusenneubaus bei der jetzigen Entscheidung für die leicht modifizierte Variante 4: Abwertung und Teilenteignung umfangreichen Immobilien-Eigentums, z.B. in der Dieselstr., Harenberger Str. und Sichelstr., Abriss denkmalgeschützter Gebäude, Abriss von ca. 10 Brücken, Zerstörung eines wichtigen innerstädtischen Naherholungsraums, Gefährdung der mit öffentlichen Geldern geförderten Stadtteilsanierung in Limmer, Verlegungen und Erhöhungen von Straßen-, Eisenbahn- und Stadtbahntrassen, Neubau von Kreuzungen, Verwandlung einer Idylle in eine Wasserautobahn, jahrelange Belastungen durch Großbaustellen, Verkleinerung des Wasserstadtgeländes, Revisionsbedarf der dortigen Planung.

Nachdenken

Die Stunden für die Nachdenklichkeit sind leider oft geschwänzt worden. Sonst hätte sich mancher einmal ganz in Ruhe fragen können, wem der Kanalausbau eigentlich einen Nutzen bringt. Sicherlich der Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD), die ihre 13.500 Beschäftigten auch gerne irgendwie beschäftigen möchte. Auch einige Baufirmen werden sich über Aufträge freuen. Und ganz vielleicht werden sogar die 4-5 verbliebenen schiffsnutzenden Betriebe im Industriegebiet Linden in den kommenden 30 Jahren auch mal ein 135 m Schiff auslasten können – wenn sie nicht zwischenzeitlich aus anderen Gründen den Standort oder den Markt verlassen, weil Mineralöl zum Beispiel an Relevanz verloren hat.

Nur weil aus dem Konjunkturprogramm für 2009 zusätzlich 430 Mio EUR an die WSD ausgeschüttet werden, muss es nicht sinnvoll sein, sie hier zu betonisieren.

Empfehlungen

Die BI empfiehlt zur Zukunftssicherung ein Update an Aufgeschlossenheit gegenüber wachstumskritischen Stadtplanungs- und Verkehrskonzepten unter besonderer Berücksichtigung von Energiewende- und Nachhaltigkeitsideen. Und ein offenes Ohr für die Bürgerinnen und Bürger, die ihren Volksvertretern immer öfter einiges an Kenntnissen und Ideenreichtum voraus haben.

Als weiterführende Veranstaltung, auf der auch die aktuellen Vorschläge der Verwaltung vorgestellt und bewertet werden, empfiehlt die BI ‚Limmer für Immer’ die Teilnahme an:

Kanal Fatal – Kaffee, Kuchen und Kanalkritik am 15.03.2009 ab 15:00 Uhr im Gasthaus Lindenkrug, Harenberger Str. 46 (Haltestelle ‚Limmer Schleuse’)

BI ‚Limmer für Immer’
c/o Anja Niezel
Sprecher: Ralf Schöning
Tel.: 0511-210 26 14