Mit Ursula von der Leyen auf dem Lindener Marktplatz

ich-bin-pirat-linden-klAm Sams­tag gab sich Frau von der Leyen die Ehre auf dem Linde­ner Markt­platz in Han­no­ver. Einige Han­no­ver­sche Pira­ten woll­ten sich nicht ent­ge­hen las­sen, das mal anzu­schauen und in geeig­ne­ter Form zu begleiten.Das Ganze endete mit einer Anzeige der CDU gegen die Piraten-Partei wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.

Einen sehr anschaulichen Bericht über die Ereignisse findet sich unter dem Motto "Erlebnisse eines Piraten" auf:

http://blog.hillbrecht.de/2009/09/21/mit-ursula-von-der-leyen-auf-dem-lindener-marktplatz-erlebnisse-eines-piraten/

Ein weiterer Bericht:

Ministerin beleidigt Bürger, Polizei schreibt CDU-Besucher auf – ein Vormittag in Linden-Mitte

Samstag früh. Zufällig habe ich davon gehört, dass unsere Ministerin für Familie, Jugend und ähnliche Problemgruppen heute am Lindener Marktplatz gastiert. Frau von der Leyen hat einiges mit mir gemeinsam: Wir beide sind klein, dünn, blond und trotzdem relativ erfolgreich. Um so einer berühmten Frau einmal persönlich zu begegnen, mache ich mich per Fahrrad in die große Nachbarstadt auf.

Gegen halb zehn orte ich einen freien Fahrradständer und bin damit auf dem Marktplatz angekommen. Weil weder bekannte Gesichter noch ein CDU-Stand zu sehen sind, geh ich erstmal einkaufen. Während ich nach Brötchen anstehe, kommt die SPD-Kandidatin Bulmahn vorbei, um Flyer mit ihrem Gesicht zu verteilen. Wie soll ich bloß reagieren … mit spontan aufgesetztem Strahlen bitte ich sie, den Zettel zu signieren. Die Dame hinter mir (Zitat: "Meine Familie wird sich totlachen!") lässt sich sofort auch einen signierten Flyer geben. Die Politikerin lacht mit und zieht weiter.

Gegen fünf vor zehn treffe ich einen besorgten Zensurgegner in der Nähe des CDU-Stands. Er hat zwei Schilder dabei, kann aber nur eines gleichzeitig hochhalten. Also bin ich nett und nehme ihm eines ab. Darauf steht sinngemäß, dass man kriminelle Inhalte löschen und die Urheber bekämpfen soll, anstatt sie einfach per DNS-Sperre auszublenden. Ein paar weitere Bürger gesellen sich zu uns, manche ebenfalls mit Schildern. Das Standpersonal ignoriert uns noch. Um zehn Uhr taucht Ursula von der Leyen auf, direkt hinter ihr eine Delegation der Piratenpartei. Jetzt muss sie direkt auf uns zu gehen – Schilde(r) hoch!

Verdammt, ich habe einen schlechten Platz erwischt! Genau genommen den Schlimmsten. Ursula setzt ihr Standard-Lächeln auf, marschiert direkt auf mich zu und reicht mir die Hand. "Sie sind also für die Päd…… hier!"

Ich setzt dasselbe Standard-Lächeln auf, schüttle höflich ihr Händchen und antworte laut und deutlich: "Ich bin dafür, dass alle Ressourcen eingesetzt werden um die Täter zu verfolgen, und kein Geld verschwendet wird."

Sie schaut weg, nuschelt etwas wie "Es wird auch kein Geld verschwendet" und wendet sich ganz schnell dem nächsten Demonstranten zu, der sich auf sowas wie eine Diskussion einlässt.

Weil mich das Gespräch interessiert, bleibe ich in der Nähe stehen. Zwei Fotografen gehen mir aber so auf den Nerv, dass ich mein Schild auf Augenhöhe halte. Denn dass ich heute fettige Haare habe, muss schließlich nicht in zehn Jahren noch abrufbar sein. Auf einmal ist "Zensursula" total gegen diese Form der Selbstzensur: Wie eine Kindergärtnerin schiebt sie das Schild nach unten und meint, ich solle mich nicht so anstellen. Ich lasse das Schild los, sobald der Haltestab den Boden berührt. Tja, jetzt hat sie das Ding allein in der Hand! Schöner Anblick… Als sie das Schild zur Seite stellen will, hole ich es mir zurück und das Spiel beginnt erneut. Kurz darauf habe ich es wieder geschafft, dass Ursula das "Wegschauen statt Löschen?"-Protestschild selber gut lesbar in der Hand hält. Während der Diskutierer auf sie ein redet, verschwinde ich unauffällig aus der Runde.

Ein paar Minuten später startet Frau Ministerin zum Marktplatz-Rundgang. Was bei der Konkurrenz ganz lässig ablief, wird hier zur Straßenblockade: Ein langer Treck aus Menschenrechtlern, "Piraten" und Privatfotografen wälzt sich hinter ihr her, "Team Deutschland" geht regelrecht unter. Auf einmal tauchen zwei Polizisten auf. Sie behaupten, eine unangekündigte Versammlung zu sehen, und nehmen Personalien diverser Besucher auf.

Hat die CDU ihre Aktion etwa nicht korrekt gemeldet? Auf ihrer Website hat die CDU Linden-Limmer ihren Wahlkampf-Stand und den Besuch der Ministerin angekündigt, sowie alle Bürger eingeladen. Die Bürger sind gekommen, quasi als Gäste der CDU. Wenn dies eine nicht angekündigte Demonstration ist, so kann das aus meiner momentanen Sicht nur bedeuten, dass die CDU sich nicht korrekt angemeldet hat. Ich bin entsetzt!

Die Beamten arbeiten sich von hinten nach vorne durch Ursulas Gefolge, schreiben einen Ausweis nach dem anderen ab. Ich bin längst vorgelaufen und lasse den Zug auf mich zu gehen. Bevor ich in Sichtweite der Polizisten gerate, lehne ich das geliehene Schild an eine Hauswand, damit niemand denkt ich würde zu irgendeiner Demo oder gar zur Piratenpartei gehören.

Ein junger "Pirat" quatscht mich an, wann wir uns denn "das nächstemal sehen". Weil ich ihn nicht erkenne, rate ich ins Blaue, dass er mich höchstens vom OpenChaos kennen kann und sage was vom Mittwochstreffen. Er hat keine Ahnung, was ich meine. Nach einigem Hin und Her wird offensichtlich, dass er mich gar nicht kennt und nur sondieren wollte, wo er mich wiedersehen kann. Und das, obwohl ich heute fettige Haare hab… Auf dem Weg zurück zum CDU-Stand taucht ein ebenso fremder, aber weit weniger hübscher Herr auf und zählt zig gesellschaftspolitische Aspekte auf, in denen er Frauen bevorzugt und sich als Mann benachteiligt sieht. Ich missbrauche ihn als SmallTalk-Training und mache mir nebenher ernsthafte Gedanken über meine Ausstrahlung.

Frau von der Leyen muss bald weiter, vielleicht um sich in Kirchrode mit zukünftigen Boehringer-Opfern zu zoffen. Mit ein paar anderen Strafverfolgungsbefürwortern bleibe ich am CDU-Stand stehen. Dort schieben gerade ein älterer Herr und eine mittelalte Dame Dienst. Der Herr verliert aus mir unbekanntem Grund die Beherrschung, schimpft wild auf uns ein und wirft uns wechselweise vor, getarnte Mitglieder der Piratenpartei zu sein, perverse Neigungen zu haben (Zitat: "K*nderf*cker") und den militanten Tierrechtlern anzugehören. Ein parteiloser Bürgerrechtler versucht ihn verbal zu beruhigen, redet aber gegen sprichwörtlichen Beton.

Schließlich entwickelt sich ein vernünftiges Gespräch mit der Dame. Sie ist der Ansicht, "das ganze Internet" solle "durchzensiert" werden. Ich frage. ob sie selbst einen Internet-Zugang besitzt und was sie sich so anschaut. Daraufhin erzählt sie von ihrer Fotogruppe auf dem Lokalportal "MyHeimat". Sie schweift ab, um von Hobbyfotografen zu erzählen, die ihrer Meinung nach völlig belanglose Bilder dort einstellen würden. Zu meiner Bemerkung, dass diese Fotos vielleicht dem Urheber persönlich etwas bedeuten (Stichwort "Kunst"), meint sie sinngemäß, dass man sowas ja nicht unbedingt veröffentlichen müsse. Obwohl ich langsam Angst bekomme, lenke ich das Thema zurück auf kriminelle Inhalte und die Frage, ob man deren Löschung durchsetzen oder dem Volk schlicht Wegsehen verordnen solle. Sie bleibt dabei, dass man die (mehr oder weniger) neuen Medien streng regulieren solle. Schon sind wieder alle in ihrem Element!

Coco lehnt sich geistig zurück und verfolgt die Schau. Die Dame von der CDU spricht nun mit einer jungen Mutter. Schräg zwischen den beiden Beinpaaren steht ihr Kinderwagen, darin ein höchstens zweijähriges Mädel. Als die Mutter sich für freie Medien ausspricht, ruft die Politikerin ihr über den Kinderwagen hinweg ins Gesicht, dass sie für Pädo***** und Kinderp***** wäre. (Ich erlaube mir, solche Dreckswörter aus meinem Blog zu verbannen; seht es als freiwillige Selbstzensur.) Peinlich berührt von solchem taktischen Totalversagen schaue ich nach unten … das Baby lächelt noch – oder lacht es sich kringelig? Auf jeden Fall zeigt es in dieser ätzenden Menschenmenge tausendmal soviel Selbstbeherrschung wie die zigmal so alte CDU-Frau.

Bevor das Niveau auf Erdöl stößt gehen wir lieber. Ich schaue noch schnell am Stand der Grünen vorbei, wo Gratis-Bionade verteilt wird. Auf dem Heimweg fallen mir diverse Dialoge wieder ein, aufgrund derer ich einzelne CDU-Mitglieder wegen Beleidigung, übler Nachrede und Rufmord verklagen könnte – allen voran Ursula von der Leyens Grußworte mir gegenüber. Hat diese Frau sich überhaupt noch im Griff? Kann sie einem sachlichen Argument gegen ein von ihr initiiertes Gesetz nur noch mit brutalen Beleidigungen begegnen? Alles in allem war ihr Auftritt extrem peinlich für die ganze CDU. Danke! Immerhin weiß ich jetzt, was ich nicht wählen werde.

Sonntag Nachmittag. Endlich habe ich mal wieder Schicht im NABU-Haus. Die Sonne scheint auf die Leinemasch, gegen Abend ist die Ausstellung voller Familien. Wie immer wollen die Kleinen nicht wieder raus – alles kaufen wollen sie natürlich auch, aber die Omas haben nie genug Geld dabei. Kurz vor Feierabend höre ich ein Kind zum anderen sagen: "NABU ist voll gut, ne?" Ja, finde ich, hier ist es voll gut. Schade, dass man uns nächsten Sonntag nicht wählen kann. Aber jeder darf nach dem Wählen zur Obstplantage Hahne nach Gleidingen kommen. Dort ist Hoffest. Mit großem NABU-Stand.

Quelle: http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog.view&friendId=101376225&blogId=511146507

Bilder von der Aktion kan man sich bei flickr ansehen: http://www.flickr.com/search/?q=leyen+lindener+markt

Wer mehr zum Thema Internetsperren wissen möchte, dem sei folgender Video ans Herz gelegt.

www.rettedeinefreiheit.de

Ganz einfach und anschaulich wird dargestellt wie unsinnig dieses Gesetz ist und das es eher schadet als nutzt.