Die Hannah Arendt Lectures begleiten seit 2004 inhaltlich die Hannah-Arendt-Tage und knüpfen in ihren Vorträgen an das Thema der jährlichen Veranstaltung im Rathaus an. Die öffentlichen Vorträge zum Thema "Verbotene Liebe? Zum Verhältnis von Wirtschaft und Politik" finden jeweils mittwochs von 18 bis 19.30 Uhr im Mosaiksaal des Neuen Rathauses, Trammplatz 2, statt.
17. April
Dr. Sabine Berghahn
Wie "lieb und teuer" ist die Inklusion der Frauen? Zur Instrumentalisierung von Geschlechterverhältnissen in Politik und Wirtschaft
15. Mai
Prof. Dr. Armin Nassehi
Ökonomisierung? Politisierung? Differenzierung? Über das schwierige Verhältnis von Wirtschaft und Politik nebst einer Klärung der Frage, wer die Guten und wer die Bösen sind
19. Juni
Prof. Dr. Bernhard Emunds
Demokratie unter dem Diktat der Finanzmärkte. Christlich-sozialethische Folgerungen aus der Finanz- und Euro-Krise
Zu den ReferentInnen:
Sabine Berghahn
studierte Rechtswissenschaft in München und schloss die Ausbildung mit zwei Staatsexamen ab. Sie promovierte an der Freien Universität (FU) Berlin in Rechtswissenschaft und habilitierte sich am Otto- Suhr-Institut der FU Berlin im Fach Politikwissenschaft. Sie arbeitete in diversen Statusformen in Forschung und Lehre, hatte dabei Gast- und Vertretungsprofessuren in Berlin, Bremen, Cottbus und Münster inne und arbeitete zeitweise als Rechtsanwältin und Journalistin.
In ihrem Vortrag resümiert sie wesentliche Determinanten der Gleichstellungs- und Geschlechterpolitik in Politik und Wirtschaft anhand von Repräsentations- und Partizipationsfragen sowie Regulierungsvorstößen, wie etwa zur Frauenquote für Aufsichtsräte. Dabei analysiert sie, wie sich Leitbilder der gesellschaftlich wünschenswerten Inklusion von Frauen gewandelt haben und wie die Instrumentalisierung "privater" Verhältnisse zwischen den Geschlechtern dennoch und immer wieder aufs Neue politische und ökonomische Diskurse bestimmt (Stichwort: verschärfte Einstandspflichten von Partnern langzeitarbeitsloser Personen und ihrer Kinder). Seit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft gibt es eine konzeptionelle Trennung der öffentlichen, politischen Sphäre von der privaten, persönlichen, die von Feministinnen jedoch in Frage gestellt wurde und wird. Auch Hannah Arendt befürwortete eine gewisse Sphärentrennung und wandte sich gegen die Vermischung im Bereich des Politischen. Wie und wo würde sie heute eine Trennlinie ziehen, und wie würde sie die finanz- und wirtschaftspolitischen Instrumentalisierungen privater Zweierbeziehungen beurteilen?
Armin Nassehi
hat Soziologie, Philosophie, Erziehungswissenschaften und Psychologie in Münster und Hagen studiert. Er wurde 1992 mit einer Arbeit über "Die Zeit der Gesellschaft" promoviert und habilitierte sich 1994 in Münster mit einer empirischen Arbeit über ehemalige Insassen von sowjetischen Zwangsarbeitslagern. Nach Lehrstuhlvertretungen ist er seit 1998 Inhaber eines Lehrstuhls für Soziologie an der Ludwig-Maximilians- Universität München. Seit 2001 ist er als Berater für Unternehmen, Verbände und Ministerien beschäftigt, und seit 2012 ist er neuer Herausgeber der Zeitschrift "Kursbuch". Seit 2012 ist er Vorstandsmitglied des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover.
Sein Vortrag wird aus gesellschaftstheoretischer Perspektive dem Verhältnis von Ökonomie und Politik auf zwei Ebenen auf den Grund gehen: zum einen auf der Ebene funktionaler Differenzierung und der Verselbständigung ökonomischer und politischer Funktionen (neben anderen); zum anderen auf der Ebene gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen. Die gegenwärtige Konjunktur ökonomischer gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen konterkariert letztlich die frühere Konjunktur politikzentrierter Narrative. Diese Einseitigkeiten werden im Vortrag als Krisenbewältigungstechniken des Gesellschaftssystems beschrieben, das so versucht, mit seiner eigenen Komplexität umzugehen. Es wird gezeigt, dass eine angemessene gesellschaftstheoretische Beschreibung der modernen Gesellschaft zeigen kann, dass die üblichen verdächtigen Narrative darüber, wer die "Guten" sind und wer die "Bösen", eine angemessene Diagnose der modernen Gesellschaft vermeidet. Der Vortrag wird zugleich diskutieren, wie die gegenwärtige Finanz- und Staatsschuldenkrise sich aus gesellschaftstheoretischer Perspektive darstellt.
Bernhard Emunds
studierte Kath. Theologie, Geschichte und Volkswirtschaftslehre in Bonn, Paris, Franfurt/Main und Münster/Westfalen. Er promovierte in Volkswirtschaftslehre über die Finanzkrisentheorie von Hyman P. Minsky und habilitierte sich mit einer Arbeit über die Ethik der Finanzmärkte. 2006 wurde er Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt und Leiter des Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik.
In seinem Vortrag geht er von der entscheidenden Ursache der globalen Finanz- und der Eurokrise aus: dem vorangehenden Finanz- und Kreditboom, in dem die Banken leichtfertig Kredite vergeben, eine große Preisblase u.a. auf Immobilien- und Aktienmärkten "aufgepustet" und große Risiken aufgetürmt hatten. Diese Entwicklungen und die Krise, in die sie mündeten, haben zu einem spezifischen Verhältnis von nationalstaatlicher Politik und Finanzwirtschaft geführt: Einerseits nimmt die Politik den Finanzinstituten die Haftung für eingegangene Risiken großenteils ab und lässt zugleich zu, dass sie Geschäftsmodelle wählen, die wohlstandsunproduktiv oder -gefährdend sind. Andererseits unterwirft sie sich selbst dem Urteil der Finanzakteure und akzeptiert den Erhalt der Kreditwürdigkeit als oberstes Ziel. Aus ethischer Sicht verweisen die sozialen Verwerfungen in den europäischen Krisenländern darauf, dass diese "selbstverschuldete" Abhängigkeit der Politik von der Finanzwirtschaft ihre demokratische Substanz, die grundlegende Ausrichtung auf gute Lebensverhältnisse für alle Bürgerinnen und Bürger, bedroht.
Veranstalter: Prof. Dr. Detlef Horster, Projekt "Wissenschaft trifft Politik – Politik trifft Wissenschaft", Philosophische Fakultät der Leibniz Universität Hannover, Telefon: 7624690, Email: horster@ewa.uni-hannover.de, www.detlef-horster.de.
Bücher von und zu Hannah Arendt und der ReferentInnen können am Büchertisch der Buchhandlung Lehmanns erworben werden.
Die Hannah Arendt Lectures finden statt im Rahmen des Projektes "Wissenschaft trifft Politik – Politik trifft Wissenschaft" der Philosophischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover. In Anlehnung an Hannah Arendts Werk werden Zukunftsfragen der Gesellschaft erörtert. Das Projekt wird gefördert von der VolkswagenStiftung.
Pressemitteilung: Stadt Hannover