Politik

Hannover legt Steuermemorandum für die Kommunen vor

Finanzkrise der Kommunen Ergebnis von 30 Jahren einseitiger Finanzpolitik – OB und Kämmerer fordern von Bund und Land Trendumkehr

Spätestens seitdem die globale Finanzmarktkrise im Jahr 2009 einen bisher ungekannten Gewerbesteuereinbruch verursachte, steht eine Gemeindefinanzreform ganz oben auf der politischen Agenda in Deutschland. Die Bundesregierung hat dafür eine Gemeindefinanzkommission eingerichtet, die Vorschläge zur Verbesserung der kommunalen Finanzsituation erarbeiten soll – und diskutiert bisher vor allem eine Abschaffung der Gewerbesteuer. Dass diese Diskussion entschieden zu kurz greift, unterstrichen Oberbürgermeister Stephan Weil und Kämmerer Dr. Marc Hansmann heute bei der Präsentation eines in dieser Form bisher einmaligen Steuermemorandums.

"Die marode Finanzlage in Städten und Gemeinden ist nicht einfach die Folge der schweren Wirtschaftskrise. Sie ist das Ergebnis einer bereits mehrere Jahrzehnte andauernden Erosion der Kommunalfinanzen durch den Bund", sagte Weil. "Mit diesem Memorandum führen wir am Beispiel der Landeshauptstadt Hannover den Nachweis, dass alle Bundesregierungen unabhängig welcher politischen Couleur eine Finanzpolitik zu Lasten der Kommunen betrieben haben." Die von Hansmann erarbeitete Analyse verdeutliche, wie dringend notwendig eine Trendumkehr sei. "Ohne zusätzliche Einnahmen wird es nicht gelingen, die Kommunalfinanzen wieder auf eine verlässliche Grundlage zu stellen", betonte Weil. "Wir fordern deshalb von der Bundesregierung und ebenso von unserer Landesregierung über ihr Gewicht im Bundesrat, für solide Kommunalfinanzen zu sorgen und nicht länger zu Lasten von Städten und Kommunen Finanzpolitik zu betreiben."

In dem 24-seitigen Memorandum listet der Finanzdezernent am Beispiel Hannovers erstmals systematisch die Folgen finanz- und steuerpolitischer Entscheidungen der vergangenen drei Jahrzehnte für die Kommunen auf. "Das aktuellste Beispiel ist das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das die Gewerbesteuereinnahmen für die Kommunen in den Jahren ab 2011 um bis zu 1,2 Milliarden Euro pro Jahr reduziert." Erhebliche Einbußen für die Kommunen hatten bisher vor allem folgende Entscheidungen: die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, der Solidarbeitrag der Kommunen zur Finanzierung der Deutschen Einheit, die ständigen Senkungen der Unternehmensteuer und der Einkommensteuer sowie die seit 46 Jahren ausstehende Reform der Grundsteuer.

Zusammengerechnet belaufen sich die Einnahmeverluste für Hannover auf bis zu 250 Millionen Euro im Jahr. "Anstatt eines Rekorddefizits hätte es damit selbst im Katastrophenjahr 2009 rechnerisch einen deutlichen Haushaltsüberschuss gegeben", sagte Hansmann.

VORSCHLÄGE FÜR EINE GEMEINDEFINANZREFORM

Für eine umfassende Gemeindefinanzreform schlägt Hansmann zunächst eine Stärkung der Gewerbesteuer vor. "Wir brauchen einen Ausbau und keinen weiteren Abbau der Gewerbesteuer", fordert er. Sie abzuschaffen und durch Zuschläge bei der Körperschaftsteuer zu ersetzen, wie in der Bundesregierung diskutiert wird, mache die Kommunen noch stärker als bisher von der Konjunktur abhängig. Um die Gewerbesteuer stattdessen zu stärken, will Hansmann unter anderem Freiberufler in die Gewerbesteuer einbeziehen, Freibeträge für Personengesellschaften streichen und Verlustübertragungen stärker beschränken. "Es ist nicht einzusehen, warum gut laufende Rechtsanwalts- oder Arztpraxen keine Gewerbesteuer zahlen", sagte Hansmann. Darüber hinaus sei nach 20 Jahren Deutsche Einheit kaum noch zu vermitteln, warum westdeutsche Kommunen sich noch am Aufbau Ost beteiligen müssten, obgleich ihre Infrastruktur immer stärker leide. "Der Solidarbeitrag der Kommunen zur Gewerbesteuerumlage muss deshalb nach und nach abgebaut werden." Ebenso dürfe es keine weiteren Einkommensteuersenkungen geben. "Eigentlich müssten die Kommunen für die Steuersenkungen in den vergangenen Jahrzehnten endlich mit einem höheren Anteil an der Einkommensteuer entschädigt werden", sagte Hansmann. Doch sei dies angesichts der katastrophalen Lage der Haushalte von Bund und den meisten Ländern wohl unrealistisch.

In der Pflicht sei der Gesetzgeber jedoch, nach fast fünf Jahrzehnten die Grundsteuer zu reformieren und auf eine aktuelle Bemessungsgrundlage zu stellen. Welches Verfahren zur Steuerbemessung gewählt werde, sei nicht entscheidend. Jedoch gelte es, alle Befreiungsvorschriften abzuschaffen. "Die Grundsteuer muss so schnell wie möglich revitalisiert werden." Die genannten Vorschläge würden laut Hansmann für die Landeshauptstadt Hannover rechnerisch Mehreinnahmen von bis zu 187 Millionen Euro im Jahr bedeuten. Der Vorstoß der Stadt Hannover für eine Reform der Kommunalfinanzen soll sich nicht ausschließlich auf Einnahmen beschränken. "Wir müssen natürlich auch nach mittlerweile sieben Konsolidierungsprogrammen in Folge weiterhin prüfen, wo wir sparen können", bekräftigten Weil und Hansmann. "Um aber ausgeglichene Haushalte zu erzielen und nach und nach auch die Altschulden abzubauen, müssen die Städte und Gemeinden auch entsprechende Mehreinnahmen haben."

Die Debatte über die Finanzkrise der Kommunen will Hannover auch öffentlich führen. Für Donnerstag, 9. September, sind ExpertInnen, VertreterInnen aus Politik, Wirtschaft, Sozialverbänden, Kultur und Kirchen und interessierte BürgerInnen zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel "Was kann und soll sich Hannover noch leisten?" ins Auditorium des Sprengel Museum in Hannover (17 bis 20 Uhr) geladen. Anmeldungen unter DezII@hannover-stadt.de oder Tel. 0511-168-43157.