Aufgabenträger und Nahverkehrsunternehmen fordern Regelungen auf Bundes- und Länderebene
Region Hannover – Das bestehende Personenbeförderungsrecht in Deutschland stimmt nicht mit der neuen europäischen Rechtslage überein und bedarf dringend einer Novellierung, so lautet das Fazit einer Untersuchung des Berliner Kompetenzcenters Verkehr der Rechtsanwalts- und Unternehmensberatungsgesellschaft Rödl & Partner. Auftraggeber des Rechtsgutachtens zu den Folgen der sogenannten „Marktöffnungsverordnung“ der EU waren neben der Region Hannover zehn weitere kommunale Aufgabenträger für den öffentlichen Personennahverkehr sowie der private Verein mofair e.V. Die Gruppe der Auftraggeber eint die Sorge um künftige Rechtsunsicherheiten und Stagnation in der Branche vor dem Hintergrund der europäischen „Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße“, die am 03. Dezember 2009 in Kraft treten wird.
„Bleibt eine Anpassung des nationalen Ordnungsrahmens aus, fließen weiterhin jährlich rund 15 Milliarden Euro in den ÖPNV in Deutschland, ohne dass die notwendige Rechtsklarheit besteht, wie öffentliche Verkehrsleistungen vergeben und von wem sie erbracht werden können“, warnte Dr. Georg Martensen, Verkehrsdezernent der Region Hannover, als einer der Auftraggeber des Gutachtens: „Bund und Länder sind deshalb gefordert, die Vorgaben der neuen EU-Verordnung zum kontrollierten Wettbewerb verfassungskonform in einer Neufassung des Personenbeförderungsgesetzes zu verankern.“
Die vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union erlassene Verordnung mit der laufenden Nummer 1370/2007 , die auch unmittelbar in Deutschland gilt und nationalem Recht vorgeht , stellt ab Ende nächsten Jahres für 3000 kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) und ca. 500 kommunale Unternehmen in Deutschland neue Finanzierungsregelungen auf und verpflichtet die kommunalen Auftraggeber zur Beachtung neuer Vergaberegularien.
Dr. Martensen: „Die Bundesregierung und die Länder dürfen einer kontroversen Diskussion über das richtige Maß von Staat und Markt im Nahverkehr nicht ausweichen. Die nationale Ausgestaltung des neuen Rechtsrahmens muss zu Rechtssicherheit führen.“
Nach Auffassung der Gutachter von Rödl & Partner sind transparente Vergabeverfahren erforderlich. Dies gelte z. B. auch für Direktvergaben an kommunale Verkehrsunternehmen, bei denen neue Spielregeln mit objektiven Kriterien beachten werden müssten.
Dr. Georg Martensen weiter: „Im neuen Rechtsrahmen obliegt den Aufgabenträgern mehr denn je die Gewährleistungsverantwortung, wohingegen die Verkehrsunternehmer für eine wirtschaftliche Leistungserbringung verantwortlich sind. Deshalb sehen wir uns durch das Rechtsgutachten bestätigt, Novellierungserfordernisse beim nationalen Personenbeförderungsgesetz zu fordern.“
Dabei empfehlen die Gutachter mehr Transparenz in den Strukturen und in der Finanzierung des ÖPNV. Sie sehen durch die neue europäische Regelung die kommunalen Auftraggeber gestärkt, die zukünftig die verkehrlichen, ökonomischen, ökologischen und sozialen Standards bestimmen und hierfür die Finanzierung sicherstellen müssten. Konkret sehen sie in zehn Punkten Anpassungsbedarf:
- Alle Genehmigungen nach dem Personenbeförderungsgesetz sind ausschließliche Rechte, die im Gegenzug für die Beachtung der Betriebs-, Beförderungs- und Tarifpflicht als gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen gewährt werden, so dass die Verordnung einheitlich und abschließend für den Öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland gilt.
- Das wettbewerbliche Vergabeverfahren gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 1370/2007 ist durch gesetzliche Mindestvorgaben unter anderem zu Fristen und Verfahrensvorgaben auszugestalten, die den Anforderungen der Transparenz und der Diskriminierungsfreiheit entsprechen und eine möglichst praxisorientierte, unbürokratische Handhabung ermöglichen.
- Die Auswahl von Bewerbern bei konkurrierenden Anträgen richtet sich nach objektiven Kriterien (siehe Rechtsschutzanforderungen gem. Art. 5 Abs. 7 VO (EG) 1370/2007).
- Eine gesetzliche Regelung über das Verhältnis von Anträgen mit und ohne Co-Finanzierung sollte Rechtssicherheit bei konkurrierenden Anträgen schaffen.
- Der Nahverkehrsplan soll neben der Sicherstellung der „ausreichenden Verkehrsbedienung“ (als gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen) auch „verkehrsfremde“ Kriterien (Sozial- und Umweltstandards) gemäß Erwägungsgrund 17 Verordnung 1370/2007 enthalten können, über die eine Bewerberauswahl ermöglicht und gesteuert wird.
- Der Nahverkehrsplan kann eine „allgemeine Vorschrift“ im Sinne der Verordnung sein, über die die Aufgabenträger Tarifobergrenzen festlegen können (aktive Tarifgestaltung).
- Aufgabenträger sind für die obligatorische Tarifaufsicht gemäß § 39 PBefG zuständig (reaktive Tarifgestaltung).
- Aufgabenträger sind für die Wahl des Vergabeverfahrens, die Auswahl der Bewerber, die Vergabe ausschließlicher Rechte und die Höhe und das Verfahren zur Ermittlung von Ausgleichsleistungen zuständig.
- Die gewerberechtliche Erlaubnis nach dem Personenbeförderungsgesetz wird anhand objektiver Kriterien (öffentliche Verkehrsinteressen) durch die Aufgabenträger erteilt, die Genehmigungsbehörden prüfen die subjektiven Kriterien der gewerberechtlichen Erlaubnis.
- Zur Minderung etwaiger verfassungsrechtlicher Bedenken bei Direktvergaben gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 1370/2007 wird die Einführung einer Subunternehmerquote vorgeschlagen.
Die Vergabebestimmungen der neuen EU-Verordnung gelten ab dem 03.12.2019. Während des Übergangszeitraumes von zehn Jahren sind die Mitgliedsstaaten jedoch aufgefordert, die Marktöffnungsverordnung bereits schrittweise anzuwenden.
PM: Region Hannover