Das letzte Stück dieser Spielzeit und das letzte unter der Intendanz von Lars-Ole Walburg wird eine Feier des Erzählens selbst, in all seinen Spielformen. Hierfür hat Hausregisseur Tom Kühnel ein lang vergriffenes, gerüchteumwobenes Kleinod der deutschsprachigen Dramenliteratur ausgegraben, geschrieben von Martin Mosebach. Der 2007 mit dem Georg-Büchner-Preis geehrte Autor gilt als einer der letzten großen Sprachkünstler unserer Zeit und als literarischer Exzentriker, der unbeirrt und weitab vom Mainstream die Fülle der Differenzierungsmöglichkeiten der Sprache erforscht und auf allen Feldern der Literatur, wie Roman (Das Beben, Mogador), Reportage, Drama, Hörspiel, Opernlibretto (Neubearbeitung des Fidelio) und Film-Drehbuch (gemeinsam mit der Künstlerin Rebecca Horn: Buster’s Bedroom) zuhause ist.
Premiere am Donnerstag, 23.05.19 um 19:00 im Schauspielhaus Hannover
Spieltermine:
Dienstag, 21.05.
Donnerstag, 23.05.
Freitag, 24.05.
Samstag, 25.05.
Sonntag, 26.05.
Samstag, 15.06.
Der Überzeugung folgend, dass es weniger um das »Was« als um das »Wie« gehe, hat Martin Mosebach mit Rotkäppchen und der Wolf einen allseits bekannten Stoff gewählt, um ihn mit allen Mitteln seiner Kunst in eine literarische Meditation zu überführen. Der alte Märchenstoff verwandelt sich unter seiner Hand in ein modernes Versdrama, halb Mysterienspiel, halb Zauberposse, zart, empfindsam, vital, in eine Geschichte von Lust und Schrecken, von Liebe, Tod und Erlösung. Hier erzeugen nicht nur die handelnden Figuren, sondern auch alle Pflanzen und Steine eine vielstimmige und kunstvolle Klangkomposition. Mosebach formt das Volksmärchen zum Spiel für Erwachsene um, an dessen Grund mal zynische, mal lustvolle reine Lebensgier liegt. Im Zentrum: Rotkäppchen, halb Licht und halb Schatten, halb Alice im Wunderland, halb Iphigenie, halb Kind und halb Frau. In freien und gereimten Rhythmen, Songs und volksliedhaften Gedichten wird die Geschichte erzählt, die griechische Tragödie ebenso zitiert wie ein Bezug zur christlichen Eucharistie hergestellt.
»Den Unterschied macht nicht die Geschichte, die beliebig, ja austauschbar anmutet, sondern der Mut, sich in eine einzelne Situation, eine abseitige Episode von vielleicht zehn, vielleicht fünf, vielleicht zwei Minuten Realzeit hineinzustürzen wie in einen reißenden Fluss, sich darin zehn, fünfzehn, dreißig Seiten treiben zu lassen, ohne einen Gedanken zu verschwenden ans Ufer, an das, was draußen in der Handlung passiert«, schrieb Navid Kermani in seiner Laudatio auf Mosebach anlässlich der Büchner-Preisverleihung. Und weiter: »Mosebachs Texte wirken auf mich (…) wie Improvisationen des Jazz oder der Rockmusik, die sich häufig aus den banaleren Stücken entwickeln, um die Komposition in den besten Momenten hinter sich zu lassen, ja sie für den Augenblick vollständig zu vergessen.«
Zur Realisierung dieses besonderen Werkes wird das gesamte Ensemble auf der Bühne stehen: als Rotkäppchen, Mutter Wolf, Gattin des Wolfes, junge Wölfe, Großmutter, Jäger, Mutter des Jägers, Chor der Tannen, Chor der Tannen am Abend, Chor der Vögel, Zaunkönige, junger Kuckuck, Chor der Spechte, Chor der Eichhörnchen, Chor der Ringelnattern, Chor der Butterblumen, Chor der Fliegen, Fliege im Netz, Spinne, Gans, Fuchs, die Quelle, Fliegenpilze, einzelne Pilze, andere Pilze, weitere Pilze, neue Pilze,aberneue Pilze, Pilzchorführer, Nähmaschine, Kuckucksuhr, Fotografie von Albert Schweitzer, Hasenchor, alter Hase, Krähen, Taube, Glühwürmchen, Schlüssel, Tür, Sessel, ein davongeschleuderter Schuh, Vorhänge, Steppdecke, Pantoffeln, Schwelle, Besen, Napfkuchen, Lebkuchen, Weinflasche, Schlaf, die junge Luna, Schädel und Knochen, Chor der versteckten Tiere, Chor der ausgestopften Chimären: Hechtente, Biberhase, Luchsreh, Dachshirsch, Fasanotter, Auerochshahn, Schnepfengemse, Bärenschwein, Wachtelfuchs, Katzenwolf, Mardermufflon, Maulwurfskiebitz und den Parforceritt durch Literatur- und Kulturgeschichte wagen. Passieren wird es dabei Faust II., Iphigenie, Wallenstein, Klytaimnestra und Alice im Wunderland.
Bildquellen:
- Rotkäppchen und der Wolf: Schauspielhaus - Foto: © Katrin Ribbe