Der Kita-Stadtelternrat nimmt Stellung zum Bericht zur Einführung der „Schule im Stadtteil – Ganztagsschule" vom 22.10.2009
In der Sitzung des Kita-Stadtelternrates am Mittwoch 22.10.2009 hat der Kita-Stadtelternrat Hannover die folgende Stellungnahme zur geplanten Einführung der „Schule im Stadtteil – Ganztagsgrundschule" erarbeitet. (Im Kita-Stadtelternrat sind die Elternschaften der einzelnen Kita-Träger z.B. AWO, Städtische Kitas usw. in Hannover vertreten.) Anlass war die Ankündigung des Oberbürgermeisters bei einer Pressekonferenz am Dienstag, 21.10.2009, bis zum Schuljahr 2012/2013 ca. ein Drittel der rund 60 Grundschulen in Hannover zu „Angebots-Ganztagsschulen" auszubauen.
Mogelpackung „Schule im Stadtteil – Ganztagsgrundschule"
Für Grundschulkinder hat sich der Hort als Nachmittagsangebot etabliert und für viele Kinder auch solchen aus benachteiligten Familien ist der Hort eine zuverlässige und wichtige Erziehungsinstitution, die entsprechend dem Kindertagesstättengesetz nach festgelegten gesetzlichen Mindeststandards arbeitet. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Qualifikation der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Kontinuität und Zuverlässigkeit als auch hinsichtlich der räumlichen Ausstattung.
Wenn jetzt die „Schule im Stadtteil" antritt mit dem Anspruch ein adäquater Ersatz für die bewährte Hortbetreuung darzustellen, so drängen sich folgende Fragen auf:
- Ist die pädagogische Qualifikation der Mitarbeiter ausreichend und welche verbindlichen Mindestvoraussetzungen gelten für die Mitarbeiter, die Angebote in der „Schule im Stadtteil – Ganztagsgrundschule" machen?
- Gelingt es die Mitarbeiter langfristig an ihre Aufgabe zu binden, so dass eine möglichst hohe Kontinuität gewährleistet ist?
- Können ausreichend zuverlässige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeworben werden, wenn diese lediglich in relativ ungesicherten Arbeitsverhältnissen mit geringem Versdienst beschäftigt werden sollen?
- Wie stark wird Druck auf die Eltern ausgeübt werden, sich ehrenamtlich an den anfallenden Arbeiten zu beteiligen.
- Ist ein regulärer Betrieb der „Schule im Stadtteil – Ganztagsgrundschule" auch dann möglich, wenn die Eltern nur in geringem Maße in der Lage sind, ehrenamtlich mitzuhelfen?
- Müssen Eltern, bzw. deren Kinder mit Nachteilen rechnen, wenn sie Einladungen zur ehrenamtlichen Mitarbeit ablehnen?
- Für die Eltern entfallen die Hortgebühren, aber welche neuen Kosten entstehen durch Mitgliedsbeiträge in Sportvereinen, Kosten für Instrumente, diverse Materialkosten?
- Werden alle Eltern, insbesondere solche mit niedrigem Einkommen, in der Lage sein, die kostenpflichtigen Ferienangebote finanzieren zu können?
- Für Familien, die bisher von der Beitragsstaffel profitierten und für die der Hortplatz kostenfrei war, stellt die „Schule im Stadtteil – Ganztagsgrundschule" eine Verteuerung dar. So müssen beispielsweise Eltern, mit Geschwisterkindern in der Kita statt bisher 30 Euro jetzt 85 Euro im Monat für die Mittagessen ihrer Kinder bezahlen. Sind besonders benachteiligte Eltern in der Lage die Essensgebühren zu zahlen, die in der „Schule im Stadtteil – Ganztagsgrundschule" anfallen. Und gilt die Geschwisterkindregelung bezüglich des Essengeldes?
- Sind die Ferienangebote so zuverlässig und langfristig vorausplanbar, dass es den Eltern möglich ist, ihre Verbindlichkeiten gegenüber ihrem Arbeitgeber einzuhalten oder müssen Eltern kurzfristig damit rechnen, dass eine Ferienbetreuung kurzfristig abgesagt wird?
- In welchem zeitlichen Umfang wird täglich eine feste Bezugsperson an den Nachmittagen für die Kinder zuständig sein?
- Wird die Ferienbetreuung von denselben Mitarbeitern durchgeführt, die auch an den Schulnachmittagen mit den Kindern arbeiten, oder müssen die Kinder damit rechnen, dass in den Ferien ständig andere erwachsene Bezugspersonen für sie zuständig sind?
- Sind die Nachmittagsangebote, die ja teilweise außerhalb der Schule stattfinden, für die Kinder zuverlässig erreichbar und von wem werden die Kinder ggf. begleitet?
- Stehen den Kindern ausreichend Räume mit geeigneter Ausstattung zur Verfügung und gibt es dafür festgelegte Mindeststandards?
- Verfügen die Schulleiterinnen und Schulleiter der Grundschulen über genügend Zeit in ihren Schulen dieses Modell der „Schule im Stadtteil – Grundschule" neben ihren übrigen Aufgaben zu bewältigen?
- Wie werden die Grundschullehrer in den Schulen in die Nachmittagsangebote eingebunden oder existieren in einer „Schule im Stadtteil – Grundschule" zwei völlig unabhängig voneinander arbeitende Bereiche, die nichts miteinander zu tun haben?
Viele dieser Fragen hat der Kita-Stadtelternrat immer wieder den politischen Verantwortungsträgern in den Parlamenten und in den Fachausschüssen vorgelegt. Stets wurden unsere Bedenken mit dem Verweis auf die knappe Haushaltslage und mit übertrieben euphorischen Annahmen über die Möglichkeiten „preiswerte" Alternativen zur Hortbetreuung zu entwickeln weggewischt. Wir nutzen diese Stellungnahme zur Ankündigung der „Schule im Stadtteil – Ganztagsgrundschule" um erneut deutlich zu machen, dass uns unsere Kinder mehr Wert sind, als es das vorliegende Billigmodell einer unechten Ganztagsschule in Aussicht stellt.
Der Kita-Stadtelternrat bedauert, dass der Ausbau der bewährten Hortplätze zurückgefahren wird, um dieses „Ganztagsschulmodell der Schule im Stadtteil" zu etablieren, das bewusst die für Horte in Kindertagesstätten geltenden gesetzlichen Regelungen ignoriert, um Kosten zu sparen. Es ist aus Sicht des Kindertagesstätten-Stadtelternrates die bessere Alternative, bereits erfolgreiche Projekte der Zusammenarbeit von Schulen und Horten unter einem Dach weiter auszubauen, ohne auf bewährte und gesetzlich fixierte Mindeststandards zu verzichten. Auf einem solchen Weg ist es möglich, gemeinsam mit den Eltern verantwortungsvoll auf eine Ganztagsgrundschule hinzuarbeiten, die diesen Namen dann auch wirklich verdient hätte. Die „Schule im Stadtteil – Ganztagsgrundschule" läuft Gefahr als Mogelpackung nicht die notwendige Akzeptanz bei den Eltern zu finden. Wo sie trotzdem angenommen wird, ist dies nicht ihrem pädagogischen Konzept zu verdanken, sondern der Notsituation und Ausweglosigkeit in der sich viele Eltern befinden.
Besonders bedenklich finden wir, dass mit der „Schule im Stadtteil – Ganztagsschule" eine Herabwürdigung der Erziehungsleistungen der Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten einhergeht. Ihnen wird ziemlich unmissverständlich signalisiert: „Es gibt andere, die mit einer geringeren Ausbildung und bei einer schlechteren Bezahlung eure Arbeit genau so gut erledigen."
In vielen anderen Bereichen des Alltagslebens finden ganz selbstverständlich Verbesserungen statt. Während Antiblockiersysteme und Airbag beim Auto beispielsweise zunehmend zum Standard gehören, droht hier die Zukunft der Bildung unserer Kinder mit dem Billigmodell „Schule im Stadtteil – Ganztagsgrundschule" ungebremst gegen die Wand zu fahren.
Der Kita-Stadtelternrat fordert alle, die in Grundschulen Verantwortung tragen, dazu auf, mit der dringend notwendigen Skepsis und Vorsicht der Einrichtung von „Schule im Stadtteil – Ganztagsgrundschulen" zu begegnen. Die Bezeichnung Ganztagsschule für dieses Konstrukt wird vom Kita-Stadtelternrat abgelehnt.
Hannover, 25.10.2009, Georg Weil, Kita-Stadtelternrat (Sprecher)