Familien

Diskussion um Qualität in Kindertageseinrichtungen

Experten fordern weniger Sonderprogramme und mehr Erzieherinnen

Schlechte Bezahlung, hohe Anforderungen, Ausstattungen, die unter den internationalen Standards liegen: „Der Alltag in Kinderbetreuungseinrichtungen ist ein Riesenkraftakt“, sagt Ute Vesper vom Fachbereich Tageseinrichtungen für Kinder der AWO Region Hannover. Dennoch beschränkt sich die Diskussion um Kinderbetreuungseinrichtungen bislang vielfach auf die Frage nach der Zahl der Betreuungsplätze. Das möchte Erwin Jordan, Sozialdezernent der Region Hannover, ändern. In der Reihe „Region im Dialog“ hatte er am Montagabend Experten zur Debatte über die Qualität in Kindertageseinrichtungen gebeten. Rund 150 Zuhörerinnen und Zuhörer folgten der Einladung in den Regionssaal. „Dies ist der Auftakt, um eine Qualitätsdebatte anzuschieben“, kündigte Jordan an.

Zur Einführung gaben Prof. Dr. Susanne Viernickel von der Alice Salomon Hochschule in Berling und Prof. Dr. Stefan Sell von der Fachhochschule Koblenz eine Einschätzung der Situation in Niedersachsen aus wissenschaftlicher Sicht. Der gemeinsame Tenor: Qualität in Kindertagseinrichtungen ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit. Neben Raumausstattung, Gruppengröße und Qualifikation der Erzieherinnen und Erzieher sei ein entscheidender Faktor der Personalschlüssel. Und der sei in Niedersachsen etwa niedriger als in Rheinland-Pfalz, gab Prof. Dr. Sell zu bedenken – vor allem bei den Unter-Dreijährigen. Je mehr Kinder eine Erzieherin betreuen müsse, umso weniger Zeit bleibe für persönliche Interaktion und Ansprache, machte auch Prof. Dr. Viernickel deutlich. „Kinder brauchen einen sicheren Rahmen“, sagte die Pädagogik-Professorin. Untersuchungen hätten ergeben, dass die Qualität der Arbeit in Kindertageseinrichtungen etwa zur Hälfte durch die äußeren Rahmenbedingungen bestimmt würden.

Prof. Dr. Sell ergänzte, dass gerade Unter-Dreijährige feste Bezugspersonen brauchten – angesichts der hohen Teilzeitquote unter Erzieherinnen und Erziehern kaum zu realisieren. „Um internationalen Standard zu erreichen, müssten die Gruppengrößen in Kindertageseinrichtungen allgemein um ein Drittel verringert werden“, rechnete Prof. Dr. Sell vor.

Während der anschließenden Diskussion, geleitet von Moderator Andreas Kuhnt, formulierte Sozialdezernent Jordan den Anspruch, Eltern in die Lage zu versetzen, unterschiedliche Konzepte zu erkennen und nach bestimmten Qualitätskriterien wählen zu können. „Wir als Jugendhilfeträge haben da noch eine Menge zu tun“, sagte Jordan. Das bestätigte Heide Tremel, Geschäftsführerin des Landesarbeitsgemeinschaft Elterninitiative Niedersachsen/Bremen e.V. „Natürlich wünschen sich Eltern gute Betreuungsplätze, aber sie haben gar keine Wahlmöglichkeiten. Es gibt für den Bereich der Unter-Dreijährigen Warteliste ohne Ende.“ Viele Eltern seien verunsichert und suchten das Gespräch.

Kritisch beurteilten die Fachleute die Vielzahl an Sonderprogrammen etwa zu Bewegungsförderung, Sprachförderung oder gesunder Ernährung. „Diese Sonderprogramme sind eine Notlösung, die Strukturprobleme überdecken“, stellte Jordan fest. „Man müsste die Projekte überprüfen“, bestätigte Ute Vesper. „Viele Gelder werden nicht mehr abgerufen, weil der Verwaltungsaufwand zu groß ist.“ Wichtiger wäre eine vernünftige Sockelfinanzierung. Jordan und Prof. Dr. Sell gingen in ihren Forderungen noch einen Schritt weiter: Die personelle und finanzielle Ausstattung von Kindertageseinrichtungen müsse an den sozialen Rahmen und die Anforderungen, die die Kinder aus dem jeweiligen Einzugsbereich darstellten, angepasst werden. „Das ist eine der großen Entwicklungsaufgaben der Kita-Finanzierung“, sagte Prof. Dr. Sell. Der Experte aus Koblenz wies zudem auf einen drohenden Fachkräftemangel hin und forderte die Öffnung des Berufsbildes für Seiteneinsteiger. 

„Bei den Kommunen in der Region Hannover steht die Frage der Kinderbetreuung weit oben“, stellte Jordan fest. „Die Quantität stimmt.“ Die Debatte um die Qualität müsse aber weiter geführt werden.

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PM: Region Hannover