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Wieder ein neues Polizeigesetz für Niedersachsen

Schon 2019 hatte die Ankündigung, ein neues Polizeigesetz für Niedersachsen zu schaffen, für Proteste gesorgt. Viele Institutionen wie die Gewerkschaft Ver.di oder der Flüchtlingsrat Niedersachen e.V. lehnten einige Teile des neuen Gesetzentwurfes ab.

Jetzt soll das Polizeigesetz in Niedersachsen erneut umfassend reformiert werden, um auf neue Bedrohungen wie Spionagedrohnen oder Gewaltdelikte besser reagieren zu können. Die Polizei soll erweiterte Befugnisse, zum Beispiel bei der Drohnenabwehr, beim Einsatz von Bodycams und intelligenter Videoüberwachung mit Gesichtserkennung in Ausnahmefällen bekommen. Bei häuslicher Gewalt könnte künftig eine elektronische Fußfessel nach spanischem Vorbild eingesetzt werden, die Opfer automatisch warnt, wenn sich der Täter nähert. Daten von Tätern sollen leichter an Beratungsstellen weitergegeben werden können, um frühzeitig Hilfsangebote zu machen.

Außerdem ist geplant, Drohnen zur Beobachtung und Abwehr einzusetzen, und bei Großveranstaltungen sollen weiterhin Zuverlässigkeitsprüfungen möglich sein. Die Landesregierung verspricht dabei hohe rechtliche Hürden. Für Gesichtserkennung soll eine richterliche Anordnung nötig werden. Der Entwurf erhält Rückendeckung von SPD und Grünen, während Verbände wie die Polizei-Gewerkschaft die Verbesserungen grundsätzlich begrüßen, aber eine genaue Prüfung ankündigen. Das neue Gesetz wird voraussichtlich erst im nächsten Jahr in Kraft treten. Betroffene von häuslicher Gewalt sehen die Reformen als wichtigen Fortschritt.

Vieles ist im Gesetzentwurf sehr schwammig formuliert, wie beispielsweise das Thema Bodycams. Bei Androhung oder Anwendung unmittelbaren Zwangs sollen diese verstärkt von Polizeibeamten genutzt werden. Eine Holster-Signalvorrichtung könnte die Kamera bei Schusswaffeneinsatz automatisch aktivieren. Eine Pflicht zum Tragen der Kameras soll es hingegen nicht geben. Aber gerade diese Pflicht würde viele umstrittene Situationen, in denen Polizeigewalt zumindest im Raum steht, entschärfen. Mit „hätte“, „könnte“ oder „vielleicht“ bleibt zu viel Spielraum, um solche Fälle in Zukunft zu verhindern. Das sieht sogar die Polizeigewerkschaft Niedersachsen in Teilen so.

„Der dauerhafte Einsatz der Bodycam sollte möglich sein. In Hochstresssituationen muss der Fokus auf der Lage liegen, nicht auf dem An- und Ausschalten einer Kamera. Technische Lösungen für automatisches Einschalten beim Ziehen von Einsatzmitteln sind unerlässlich,“ so Patrick Seegers, Landesvorsitzender der DPolG.

Darüber hinaus bemängelt die Polizeigewerkschaft Niedersachsen die unzureichende automatisierte Datenanalyse im Gesetzentwurf. Andere Bundesländer wie Hessen und Nordrhein-Westfalen setzten dabei auf die höchst umstrittene Software Palantir Gotham. Die Palantir Technologies Inc. mit CEO Alex Karp ist auf die Analyse großer Datenmengen und deren Verknüpfung spezialisiert. Was aber ist nun so problematisch und grundrechtsschädigend an dieser Verknüpfungs- und Analysesoftware der US-Firma Palantir?

Palantir, benannt nach den „sehenden Steinen“ aus Herr der Ringe, ist eine der umstrittensten Firmen des Silicon Valley, so die Süddeutsche Zeitung. Sie gilt nach Einschätzung der US-Bürgerrechtsvereinigung ACLU als Schlüsselfirma in der Überwachungsindustrie. Der US-Star-Investor und Milliardär Peter Thiel, der bereits den Online-Bezahldienst Paypal mitgegründet hatte, gründete die Firma im Jahr 2004 mit finanzieller Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA. Die Kundenliste der Firma liest sich wie das Who-is-who der US-Militär- und Sicherheitsbürokratie: CIA, FBI, NSA, Pentagon, Marines und Airforce. Oder anders ausgedrückt: Als Hauslieferant dieser Behörden ist die Firma tief in den militärisch-digitalen Komplex der USA verstrickt und ihr Geschäftsmodell heißt: BigData for BigBrother. Peter Thiel sitzt zudem im Aufsichtsrat von Facebook und hat Donald Trumps Wahlkampf mit über einer Million US-Dollar unterstützt. – Rölf Gössner in seiner Laudatio auf Peter Beuth bei den BigBrotherAwards 2019

Es bleibt also abzuwarten, ob sich auch dieses Mal der Widerstand durch die Zivilgesellschaft gegen das neu zu beschließende Polizeigesetz formiert.

Pressemitteilung von 2019 nach Beschluss des neuen Gesetzes:

Pistorius: „Ein modernes Polizeigesetz für Niedersachsen. Gut für die Bürgerinnen und Bürger und unsere Polizei.“

Der Niedersächsische Landtag hat heute umfangreiche Änderungen des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, das künftig die Bezeichnung „Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG)“ tragen wird, beschlossen.

Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius: „Das Gesetz ist eine vernünftige, angemessene und notwendige Modernisierung unseres Polizeirechts. Wir brauchen eine ausgewogene rechtliche Grundlage für unsere Sicherheitsbehörden, um uns adäquat vor Gefahren schützen zu können. Oberste Priorität hatte für uns als Landesregierung und auch für mich persönlich, dass es gelingt, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit angemessen zu wahren. Ich bin davon überzeugt, dass uns das mit diesem Gesetzentwurf gelungen ist. Der heutige Tag ist deshalb ein guter Tag für die Sicherheit in Niedersachsen. Die Polizei erhält wichtige Befugnisse, um den internationalen Terrorismus weiterhin wirksam bekämpfen zu können. Das alte Gesetz stammte aus einer Zeit, in der das erste iPhone gerade auf den Markt kam. Es war also noch weitestgehend blind auf dem digitalen Auge, IP-Telefonie und Messengerdienste in der heutigen Form gab es noch gar nicht. Die Polizei braucht die Möglichkeit, bei begründetem Verdacht erheblicher Gefahren auch auf diese Formen der Kommunikation Zugriff zu bekommen. Auch die digitale Welt darf kein rechtsfreier Raum sein! Zugleich setzen wir mit dem Gesetz konsequent die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um und stärken Bürgerrechte im Bereich des Datenschutzes.“

Wenn es eindeutige Hinweise darauf gibt, dass eine terroristische Straftat unmittelbar bevorsteht, können Verdächtige zur Bekämpfung terroristischer Gefahren jetzt länger als bisher in Gewahrsam genommen werden. Künftig kann ein Gericht insgesamt bis zu 35 Tage Gewahrsam anordnen, wobei das Gericht nach jeweils zwei Wochen über die Fortdauer des Gewahrsams zu entscheiden hat. Pistorius: „Ich habe während der vergangenen Diskussionen im Zusammenhang mit der Dauer des Gefährdergewahrsams immer wieder deutlich gemacht, dass wir hier sehr sensibel sein müssen. Klar ist, dass auch jede Verlängerung des Gewahrsams durch ein Gericht angeordnet werden muss. Zur Gewahrsamsdauer haben wir jetzt einen vernünftigen Kompromiss gefunden. Es geht insgesamt um sehr wenige Fälle, die sich auf den Bereich terroristischer Gefahren beziehen, keineswegs aber dazu genutzt werden können, um beispielsweise Fußballfans aus Stadien fernzuhalten.“

Gegen terroristische Gefährder können auf richterlichen Beschluss hin außerdem Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote verhängt oder elektronische Fußfesseln zur Aufenthaltsüberwachung eingesetzt werden. Dies sind neue Instrumente, die die Polizei nutzen kann, um terroristische Gefährder im Blick zu behalten und Freiräume bei der Vorbereitung von terroristischen Straftaten zu beschränken.

Mit der sogenannten Quellen-TKÜ und der Online-Durchsuchung erhält die Polizei neue Ermittlungsbefugnisse. Die Möglichkeit, aus der Ferne auf Computer oder Handys zuzugreifen, ist vor allem deshalb von so großer Bedeutung, weil die Verschlüsselung von Informationen – auch zu kriminellen Zwecken – inzwischen gängige Praxis ist und z.B. eine Überwachung der Telekommunikation mit herkömmlichen Methoden häufig nicht mehr zum Erfolg führt. Pistorius: „Das alte Polizeigesetz stammt aus der Zeit von USB-Sticks, CD-Roms und herkömmlicher Telefonie. Seitdem ist im Bereich der Digitalisierung unserer Gesellschaft und Kommunikation unendlich viel passiert. Die Ermittlungsbehörden müssen mit den kriminellen Methoden im digitalen Raum mithalten können. Es darf auch im Internet keinen rechtsfreien Raum geben. Allen Skeptikern kann ich sagen, dass ich Verständnis für die Diskussionen über Befugnisse und Datenschutz in diesem Zusammenhang habe. Letztendlich muss die Polizei aber ihre Aufgaben erfüllen können und die Bürgerinnen und Bürger des Landes mit den erforderlichen Mitteln schützen können. Auch an dieser Stelle gibt es natürlich einen Richtervorbehalt. Ob diese Maßnahmen durchgeführt werden, entscheidet am Ende also nicht die Polizei und schon gar nicht der Innenminister, sondern immer ein unabhängiges Gericht!“

Durch eine Reihe von rechtsstaatlichen Sicherungen wird gewährleistet, dass gerade diese besonders eingriffsintensiven Maßnahmen der Polizei mit dem Grundgesetz im Einklang stehen werden. So gibt es Verbesserungen beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern – etwa Rechtsanwälten und Journalisten – und beim Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Umfangreiche Richtervorbehalte und die nachträgliche Benachrichtigung Betroffener von verdeckten Maßnahmen sorgen für einen effektiven Rechtsschutz. Außerdem werden Kontrollen durch die Landesbeauftragte für den Datenschutz und die parlamentarischen Kontrolle gestärkt.

Auch für die tägliche Polizeiarbeit bringt das Gesetz Neuerungen – zu denen allerdings ausdrücklich nicht der Taser gehört, der weiterhin ausschließlich für das Spezialeinsatzkommando zugelassen bleibt. Für einen breiten Einsatz gedacht sind hingegen die Bodycams, für die erstmals eine spezifische Rechtsgrundlage geschaffen wird. Bislang wurden beim Einsatz nur Bild- und nicht auch Tonaufzeichnungen gemacht, so dass Einsatzsituationen nur eingeschränkt nachvollzogen werden konnten – das ändert sich durch das neue Gesetz.

Das neue NPOG enthält außerdem Regelungen zu Gefährderansprache und Meldeauflage. Beides sind gut etablierte Instrumente zur Verhütung von Straftaten, die bisher auf die Generalklausel gestützt wurden und jetzt gesetzlich normiert wurden.

Weiterhin enthält das Gesetz Neuerungen im Bereich der Verkehrssicherheit. Die Geschwindigkeitsüberwachung mittels Abschnittskontrolle (Section Control), die ein sehr wirksames Mittel ist, um die Sicherheit auf unseren Straßen zu verbessern, erhält mit dem neuen Gesetz eine ausdrückliche Rechtsgrundlage. Mit der neuen Vorschrift sind die Voraussetzungen geschaffen, um das Pilotprojekt an der B 6 fortzusetzen.

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