Abiturienten müssen dieselben Chancen haben wie andere Jahrgänge
2011 drängt der sogenannte doppelte Abiturjahrgang auf den Ausbildungsmarkt und an die Hochschulen: ca. 8000 Schulabgängerinnen und –abgänger mit Hochschulreife allein in der Region Hannover. Sind die Region und das Land Niedersachsen dafür gerüstet? Und was können Eltern, Schulen, Hochschulen und Wirtschaft tun, damit diese jungen Menschen erfolgreich den Weg vom Schul- ins Berufsleben finden? „Nicht nur Unternehmen und Hochschulen stehen vor einer besonderen Herausforderung“, sagt Ulf-Birger Franz, „im Grunde ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dafür zu sorgen, dass diese jungen Erwachsenen dieselben Chancen haben wie andere Jahrgänge.“
Ein Grund, das Thema in der Reihe „Region im Dialog“ in den Fokus zu rücken. „Wir möchten die Augen öffnen für die Aufgaben, die der doppelte Abiturjahrgang mit sich bringt“, sagt Franz. Für Montag, 23. August, 17 Uhr, hat die Region hochkarätige Gäste ins Regionshaus eingeladen, um das Thema von verschiedenen Positionen aus zu beleuchten. Dr. Christoph Heine von der Hochschul Informations System GmbH spricht über „Studienberechtigte in Niedersachsen – Übergang in Studium, Beruf und Ausbildung“. Rolf Bade vom Niedersächsi-schen Kultusministerium informiert über „Abitur 2011 – Eine erfolgreiche Abiturprüfung für zwei Schülerjahrgänge gewährleisten“. Daran schließt sich eine Podiumsdiskussion mit Cars-ten Mühlheimer, Leiter der Abteilung Hochschulen des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur; Prof. Dr. Erich Barke, Präsident der Leibniz Universität Hannover; Prof. Dr. Rosemarie Kerkow-Weil, stellvertretende Präsidentin der Fachhochschule Hannover, Bernd Rebens, Vorstand der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen sowie Ute Schaumann vom Regionselternrat an.
Franz übernimmt an dem Abend die doppelte Rolle des Wirtschafts- und des Bil-dungsdezernenten. „Wir müssen uns zum einen als Träger der Berufsbildenden Schulen auf eine größere Nachfrage einstellen. Zum anderen sind wir in der Wirtschafts- und Beschäfti-gungsförderung schon seit geraumer Zeit mit dem Thema Fachkräftemangel beschäftigt. Der doppelte Abiturjahrgang ist eine Chance für Unternehmen, sich mit jungen Leuten „einzudecken“, die in den Jahren danach knapper werden. Diese Chance müssen sie nutzen.“
Fast 40.000 Menschen sind jedes Jahr in Ausbildung an einer der 16 Berufsbildenden Schulen der Region Hannover. „Schon jetzt bieten die BBSen mehr als 10.000 Vollzeitschulplätze an, um auch denjenigen eine Chance zu bieten, die keinen adäquaten Ausbildungsplatz in der Wirtschaft gefunden haben“, sagt Franz. Zwar handele es sich dabei ganz überwiegend um Realschul- und Hauptschulabgänger. „Aber wenn die Firmen 2011 Abiturienten statt Re-alschüler einstellen können, schlägt sich das auch auf die Möglichkeiten der übrigen Schulabgänger nieder. Es besteht die Gefahr, dass wir in der Folge mehr Real- und Hauptschüler haben, die keine Lehrstelle finden.“ Soweit die Vermittlung in Ausbildung nicht gelingt sind die BBSen gerüstet und können für unversorgte Schulabgänger zusätzliche Klassen oder Kapazitäten anbieten.
Auch im dualen Ausbildungssystem wird ein Mehrbedarf durch den doppelten Abiturjahrgang erwartet. „Wir hoffen, dass sich mehr Firmen entscheiden, Ausbildungsplätze anzubieten. Wir dürfen nicht vergessen, dass nur 70 Prozent der Abiturienten ein Studium an der Universität oder eine Fachhochschule anstreben. Der Rest sucht nach einem Ausbildungsplatz.“ Damit sind 2011 etwa 1200 Abiturienten mehr auf der Suche nach einer Lehrstelle als in einem normalen Jahr. „Mit den Berufsbildenden Schulen ist geplant, gezielt Berufsfachschulen mit beruflichem Abschluss, bei denen gute Perspektiven für den Arbeitsmarkt gesehen werden, auszubauen“, sagt Franz. „Konkret geht es dabei um 70 bis 80 Plätze für Erzieherinnen und Erzieher, circa 100 Plätze in der Pflegeassistenz und Altenpflege sowie 30 Plätze für die PTA und CTA-Ausbildung“, wie Uwe Specht, Leiter des Fachbereiches Schulen ausführt. In Abstimmung mit der IHK werden außerdem in schulischer Form jeweils 50 Plätze für Bürokaufleute, Kaufleute für Bürokommunikation, Kaufleute für Büromarketing, Fachinformatiker /Fachrichtung Systemintegration, Restaurantfachleute sowie Mediengestalter für Bild und Ton angeboten.
Zweites Problem: den passenden Beruf zu finden. „Wir haben bei den Studenten eine Abbrecherquote von 20 Prozent, in naturwissenschaftlichen Bereichen zum Teil bis 40 Prozent“, sagt Reinhard Biederbeck, Leiter des Teams Beschäftigungsförderung der Region Hannover. „Bei den Auszubildenden beträgt die Abbrecherquote je nach Branche bis zu 20 Prozent. Hier müssen wir Modelle entwickeln, damit die jungen Menschen von Anfang an das Studium oder den Beruf wählen, der wirklich zu ihnen passt, aber auch gute Zukunftschancen bietet“, sagt Biederbeck. Auch angesichts des drohenden Fachkräftemangels sei es wichtig, eine Orientierung zur Berufswahl zu bieten und die Schulabgängerinnen und –abgänger um-fassend zu informieren. „Nur wer etwas über eine Branche und einen Beruf weiß, kann sich dafür entscheiden“, sagt der Teamleiter. Praktikumsprogramme wie das „Technikum“ – ein Projekt, um Interesse an technischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen zu wecken – sollen dabei helfen. „Das Problem ist weniger, dass es nicht genug Ausbildungs- und Studienplätze gibt, sondern dass die jungen Menschen auf einige wenige Berufsfelder fixiert sind und nicht die ganze Bandbreite wahrnehmen“, meint Biederbeck. Das treffe Abiturienten ebenso wie andere Schulabgängerinnen und –abgänger.
Wie gut die Hochschulen für den doppelten Abiturjahrgang gerüstet sind und welche Hoffnungen oder Befürchtungen damit verbunden sind, steht am 23. August, ab 17 Uhr im Regionshaus, Hildesheimer Straße 18, zur Debatte. Die Veranstaltung ist offen für alle, der Eintritt ist kostenfrei