Zwei Lindener erklären die Welt
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Die Geschichten von Lindemann & Stroganow gelesen von Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter.
Tränen der Freude in Mehmeds Pizza Burger
Der Himmel verdunkelt sich und ein schwarzer Schatten fällt in Mehmeds Pizza Burger. Ein Mann betritt das Schnellrestaurant. Er ist hochgewachsen und sein Äußeres verdächtig unauffällig. Er trägt Sandalen, einen Schottenrock, ein T-Shirt mit israelischer Flagge drauf, darüber ein Nadelstreifensakko. Sein Gesicht verschwindet hinter einem gewaltigen schwarzgrauen Rauschebart. Auf dem Kopf trägt er eine Ferrarikappe, aus deren Öffnung am Hinterkopf ein blonder Pferdeschwanz lugt. „Du wirst hier nicht bedient“, sagt Mehmed. „Wieso nicht?“, will der Kunde wissen. „Wir sind ausverkauft“, sagt Stroganow. Ich blicke den Eindringling an. Ganz klar, ein Nazi. Das hat Mehmed gleich erkannt. „Auch kein Lahmacun mehr?“, fragt der Nazi. „Nichtmal mit Sauerkraut“, sage ich. Der Nazi beginnt zu weinen. „Also gut“, sagt Stroganow, „du bekommst einen Döner, wenn du einen kleinen Intelligenztest bestehst. Beruhige dich, wir fangen mit etwas leichtem an. Los, Nazi, stell dich auf ein Bein und schließ die Augen. Wenn du das 30 Sekunden schaffst, kriegst du schon mal ein Salatblatt.“ Der Nazi hebt das rechte Bein und fällt sofort um. „Wusst ich’s doch“, sagt Mehmed, der kann nur Armheben, mit allem anderen ist der überfordert.“ Wir ziehen den Ohnmächtigen an den Sandalen aus Mehmeds Laden und legen ihn zum Ausschlafen in die Sonne. Stroganow legt noch eine Scheibe Käse drauf.
„Mir macht das schon ein wenig Sorge“, überlege ich, sollten wir ihn nicht lieber ins Tierheim bringen?“ „Die nehmen ihn nicht“, sagt Stroganow, „zu schwer vermittelbar.“ „Immerhin braucht er keinen Auslauf“, gebe ich zu bedenken, „ein gesicherter Balkon würde reichen.“ „Ich glaube, du machst dich über Nazis lustig“, sagt Mehmed. „Was denn sonst“, erwidere ich, „soll ich etwa vor Angst erstarren? Hohn und Spott sind immer noch die wirkungsvollsten Waffen gegen die Dummheit. Es gibt viel zu wenig Naziwitze in diesem Land.“ „Ich kenn einen“, sagt Mehmed, „passt auf, der kürzeste Naziwitz: kommt ein Nazi nach Linden!“
„Super“, sagt Stroganow und biegt sich vor Lachen. Tränen kullern seine unrasierten Wangen hinab. Rührend. „So, jetzt aber mal wieder im Ernst“, sagt Mehmed, „was wollt ihr denn eigentlich essen?“ Ah, fast hätten wir vergessen, warum wir hier sind. „Pommes Salbe“, sagt Stroganow. „Mit Salatgarnitur“, ergänze ich, und nehme mir einen Ayran aus dem Kühlschrank. Draußen überbackt ein Nazi in der Sonne.
von Kersten Flenter
Die Axt im Haus erspart die Fernbedienung
Lindemann staunt über die wachsende Vielzahl von Versandhandelsbroschüren die vorgeben, für ihn ganz persönlich gedruckt worden zu sein. Denn da steht in fetter schwarzer Schrift „Lieber Herr Lindemann“ und es kommt ein Angebot technischer Spielzeuge aus der Kategorie „supergünstig“. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Wer beim Essen die Bundesliga schauen möchte, ordert den Suppenteller mit eingebautem Premiere-Programm. Das kommt für Lindemann allerdings nicht in Frage, ist er doch Gulasch-Suppen-Fan und vermutet, gelbe Trikots und schwarze Hosen hätten da keine durchdringende Wirkung.
Praktische Dinge aus Lindemanns Erfahrungsschatzgibt es bei modernen Versandhäusern nur noch in Kombi-Variante. Jüngst stellte er fest, dass seine heimische Axt im Werkzeugschrank nach jahrzehntelanger Treue heftig Rost angesetzt hatte und dringend eines Austausches bedurfte. Braucht ein Haushalt eine Axt? Die Alten unkten, sie erspare den Zimmermann und frühere Witzbolde wagten gar den makabren Tip: Die Axt im Haus erspart den Scheidungsrichter. Das, allerdings, ist nicht Lindemanns Niveau.
Für Lindemann ist die Axt ein Allzweckwerkzeug, wobei die verkürzte Variante, Beil genannt, auch praktikabel ist. Man kann damit klemmende Kühlschranktüren zur Räson bringen, Dosen nach Abbruch der Öffnungsringe zugänglich machen, übergroße Altgeräte zur Entsorgung portionieren oder Bilder im Wohnzimmer annageln. Das Wissen über diese praktische Tätigkeit ist den Menschen abhanden gekommen. Jeder weiß zwar, wie man einen Computer programmiert oder sein Handy zum Bestellen der nächsten Bierrunde einsetzt, aber eine Axt? Nein, eine Axt besitzen sie nicht einmal.
Nun stellt Lindemann fest, dass die Witzbolde dieses Feld nicht aufgegeben haben und Äxte in neuen Varianten anbieten. Die goldene Axt für sicherheitsbewusste Kapitalanleger. Lindemann warnt: Gold ist viel zu weich für einen praktischen Einsatz. Oder die Axt mit Internet-Anschluss und Dolby-Sound, um Opern in ihrer ganzen Klangqualität zu erleben. Eine modische Axt muss wohl auch den Kalorienverbrauch bei ihrem Einsatz messen und regulieren können. Aber nicht bei Lindemann. Der sagt: Axt muss Axt bleiben. Da will er keinen Beipackzettel vorfinden, der in gewundenem Deutsch warnt: „Bei Einschalten nicht Strom anfassen. Haare können spalten.“ Denn dann handelt es sich in aller Regel nicht um ein Produkt, das nach verlässlichen Haftungsbedingungen in der Europäischen Union gefertigt wurde.
von Hans-Jörg Hennecke