RWE-Vorstand: „Gesellschaft muss sich ändern“
Über 300 Führungskräfte diskutieren Umbau der Energiesysteme
Siebte Veranstaltung des „enercity dialogs“ auf der Hannover Messe
Die Energiewirtschaft steht vor immensen Umbrüchen, die letztlich auch Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft haben werden. Angesichts des Ausstiegs aus der Nutzung der Atomkraft zur Stromproduktion bei gleichzeitiger Erfüllung der bestehenden Klimaschutzziele wird sich auch die Gesellschaft insgesamt in ihrem Verhalten, insbesondere ihrem Konsumverhalten tief greifend ändern müssen. Diese Einschätzung vertrat Dr. Leonhard Birnbaum, Vorstandsmitglied der RWE AG, Essen, auf dem siebten „enercity dialog“ auf der Hannover Messe. Dr. Birnbaum verwies auf die bestehenden Klimaschutzziele, deren Erreichung angesichts des Ausstiegs aus der Atomkraft eine extreme Herausforderung bedeutet. Es sei nun vor allem ein „Grundsatz“ bzw. eine Aufgabe, auf die Größe der Herausforderung aufmerksam zu machen.
Insgesamt stand der „energie dialog“ im Zeichen der aktuellen Ereignisse. „Diskutiert wird von der Politik nicht mehr die Frage, ob es zu einem Ausstieg aus der Atomkraft kommt, sondern wie und wann das möglich sein kann“, sagte Michael G. Feist, Vorsitzender des Vorstands der Stadtwerke Hannover AG. Allerdings sollten entsprechend des Themas des „enercity dialogs“ auch die Chancen und Herausforderungen einer Erneuerung gesehen werden, die aus den Umbrüchen folgten.
Entsprechend trugen die Redner auf dem „enercity dialog“ unterschiedliche Aspekte dieser Herausforderungen vor. Klaus Schäfer, Vorsitzender des Vorstands der E.ON Ruhrgas AG, Essen, sieht den Trend einer zunehmenden Verstromung von Erdgas, um so den Verzicht auf Atomkraft kompensieren zu können. Schäfer verwies auf Italien, wo bereits 51 % des verbrauchten Erdgases für die Produktion von Strom eingesetzt wird, während in Deutschland derzeit nur 14 % des Erdgases in Kraftwerken zur Stromerzeugung verwendet wird. Ein erhöhter Einsatz von Erdgas erfordert jedoch zunehmende Transportkapazitäten und Leitungssysteme.
Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander forderte eine intensivere Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Es müsse das EEG (Energieeinsparungsgesetz) geändert werden, indem mit erhöhter Vergütung für Energie, die aus regenerativen Energieträgern erzeugt werde, die Anreize für Investoren erhöht würden. Dabei müsse jedoch unterschieden werden, welche erneuerbaren Energien gezielt unterstützt werden. Nachwachsende Rohstoffe gehörten laut Sander nicht dazu, da durch Förderung bzw. Subventionierung dieser Rohstoffe nicht die Land- und Ernährungswirtschaft getroffen werden dürfe, die in erster Linie Nahrungsmittel produzieren solle.
Sander setzte sich vor allem für eine verstärkte Förderung der Windkraft ein und verwies auf die Notwendigkeiten des Netzausbaus, insbesondere um die Offshore-Parks entsprechend anbinden und die Strommengen geeignet verteilen zu können. Stephan Weil, Oberbürgermeister der Stadt Hannover, kritisierte in seiner Eigenschaft als Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen die Netzregulierung, die angesichts der geforderten umfangreichen Investitionen in den Netzausbau revidiert werden müsse. In diesem Zusammenhang betonte Weil, dass die Politik, insbesondere die Bundesregierung, stärker die Stadtwerksunternehmen anhören solle, die im Markt den Charakter mittelständischer Betriebe hätten und damit eine wichtige Kraft im Wettbewerb mit den großen Energieunternehmen darstellten.
Zum Abschluss des „enercity dialogs“ setzte Dr. Joachim Gauck, unter anderem Vorsitzender der Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., mit den aktuellen Atomausstiegsdiskussionen auseinander, die seiner Ansicht nach in Teilen hysterischen Charakter hätten. Generell seien viele Menschen angesichts des erreichten Wohlstands in der deutschen Gesellschaft und der Möglichkeiten zur Freiheit verunsichert und würden eher negativ als positiv gestaltend reagieren, wenn sich Gefahren und Probleme zeigten. Es komme aber darauf an, die Freiheit mit Verantwortung wahrzunehmen, denn sonst bestehe keine Möglichkeit zur wirklichen und positiven Gestaltung.