Mobilität

Volkssport Fahrrad-Bashing – Bauchgefühl und Realität

Das Fahrrad-Bashing in den Sozialen Medien nimmt immer weiter zu. Wenn es um vermeintliche Fahrrad-Rambos geht kocht der Volkszorn regelmäßig. Oft begegnet einem dabei der Fahrradpolizist Jimmy Hartwich aus Hannover  mit folgender Aussage:

„Ich habe manchmal das Gefühl, dass Fahrradfahrer der Meinung sind, Verkehrsregeln gelten nur für Autos, nicht für sie.“

Das Zitat stammt aus der Folge „Großstadt-Einsatz für die Fahrrad-Polizei“ aus der Reihe Nordreportage des NDR.

Großstadt-Einsatz für die Fahrrad-Polizei | Die Nordreportage | NDR Doku

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Und in der Regel kocht dort der Volkszorn gegenüber den Radfahrern sofort hoch. Von Kennzeichenpflicht über Führerscheinpflicht bis hin zur Helmpflicht wird da regelmäßig gefordert.

Doch sind Fahrradfahrer das Hauptproblem im Straßenverkehr?

In Hannover wurden im vergangenen Jahr rund 14 Millionen Euro mit Blitzern eingenommen. Der Großteil dieser Summe stammt aus Geschwindigkeits- und Rotlichtverstößen. Eine rote Ampel kostet, sofern niemand gefährdet wird, 90 Euro. 25 km/h zu schnell innerhalb der Ortschaft schlägt mit 115 Euro zu Buche. Angenommen es gibt einen Mittelwert von 100 Euro Bußgeld, dann kommt man auf 380 Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung bei Kraftfahrzeugen am Tag.

Aktuelle Beispiele:

Daher ist es fraglich, ob eine Führerscheinpflicht wirklich etwas ändern würde. Bedenkt man dazu noch das rund 79 Prozent der Frauen und rund 84,6 Prozent der Männer einen Führerschein besitzen, ist diese Forderung eher nur dem Bauchgefühl geschuldet.

Nächster Punkt ist das Kennzeichen für Fahrräder. Hier lohnt ein Blick in die Schweiz. Aufgrund einer unverhältnismäßigen Bürokratie wurde dort die Velovignette 2011 abgeschafft. Bei etwa 80 Millionen Fahrrädern in Deutschland müsste für so ein Vorhaben sicherlich eine ganz neue Behörde geschaffen werden. Bei der derzeitigen Diskussion um Bürokratieabbau sicher keine Option.

Letzter Punkt die immer wieder gerne angebrachte Helmpflicht für Fahrradfahrer. Was von dieser Forderung zu halten ist, kann hier sehr schön nachgelesen werden. „Warum die Helmpflicht gefordert wird„, in der Regel nicht, um den Radfahrer zu schützen. Auf jeden getöteten Radfahrer kommen nämlich 1,5 Fußgänger und 4,5 Autofahrer mit tödlichen Kopfverletzungen. So gesehen müsste man eine Helmpflicht für alle Verkehrsteilnehmer fordern.

Das wahre Problem im Radverkehr ist die mangelhafte Infrastruktur

Radwege, die plötzlich enden, Baustellen mit „Radfahrer absteigen“ und viele weitere lieb gesagt, Kuriositäten dürfte den motorisierten Individualverkehr auf die Palme bringen. Für den Radfahrer, der täglich unterwegs ist, sind das eher Herausforderungen als Ärgernisse.

Ein paar Beispiele:

Eines der kuriosesten Beispiele ist über Google Maps am Heinrich-Heine-Platz in der Südstadt zu bewundern. So eine Verkehrsführung beim Autoverkehr würde sicherlich einige Irritationen hervorrufen. Und dies ist keineswegs eine temporäre Maßnahme, sondern begleitete den Radfahrer auf dieser Strecke jahrelang.

Auch der Winterdienst für Radwege ist vorsichtig gesagt nicht optimal. Gerne werden die Straßen geräumt und der Schnee dann auf den Radwegen abgeladen, denn mit dem Rad fährt im Winter sowieso niemand. Das dies einen unmittelbaren Zusammenhang ergibt, ist bei den meisten Verantwortlichen immer noch nicht angekommen. Wenn man es ernst meint mit 25 % Radverkehr bis 2025, dann muss sich das nicht nur nach Meinung des ADFC ändern.

Eine bauliche Fehlleistung in Kleefeld hat es sogar in die Rubrik „Realer Irrsinn“ der Sendung Extra 3 geschafft. Denn Hannover ist eine fahrradfreundliche Stadt mit tollen Radwegen und immer neuen Fahrradständern an den verrücktesten Orten. Jetzt sogar mitten auf dem Radweg. 50 Stück für 15.000 Euro.

Realer Irrsinn: Fahrradbügel auf dem Radweg | extra 3 | NDR

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Einige weitere Abstrusitäten hat die Hannoversche Allgemeine Zeitung in einem Artikel aus dem Jahr 2022 aufgelistet.

Da sollte sich dann auch niemand wundern, wenn Radfahrer sich oft ihren Weg suchen, auch wenn der vielleicht nicht den Regeln entspricht.

Gefährdungspotential durch Radfahrer und Kfz-Verkehr

Jede dritte im Straßenverkehr getötete Person kam aufgrund der überhöhten bzw. nicht angepassten Geschwindigkeit ums Leben. Die mit Abstand meisten im Straßenverkehr Getöteten (24 Personen) starben laut Verkehrssicherheitsbericht 2022 bei Verkehrsunfällen, die von Fahrerinnen und Fahrern von Pkw verursacht wurden. Nutzende von Lkw waren für vier und von Fahrrädern für drei getötete Personen verantwortlich. Auffällig ist, dass die Verursachung durch den Pkw-Verkehr mit einem Plus von acht Fällen bzw. 50 Prozent deutlich gestiegen ist.

Es ist davon auszugehen, dass sich diese Gewichtung auch auf die Verletzten übertragen lässt. Wo in Hannover die meisten Unfälle passieren, kann man auf der Karte des Unfallatlas nachvollziehen. Positiv zu bewerten ist, dass sich die Zahl der getöteten Menschen im Straßenverkehr seit Anfang der 90er-Jahre von bundesweit 11.000 auf nur noch 2.800 gesenkt hat. Der Eindruck, dass sich durch die Zunahme des Fahrradverkehrs die Situation verschlimmert hat, stimmt also keineswegs.

Fazit: Es gibt nicht die eine Gruppe im Straßenverkehr, die sich nicht an die Verkehrsregeln hält. Nur haben es Radfahrer aufgrund der mangelnden Infrastruktur teilweise besonders schwer, sich ohne gravierende Nachteile an alle Regeln zu halten.

Bildquellen:

  • Radweg am Heinrich-Heine-Platz: Google Maps
  • Radweg Hildesheimer Straße: www.hannover-entdecken.de
  • Fahrradpolizist Jimmy Hartwich: NDR Fernsehen